Positionen

Vergleich zwischen Befürwortern und Gegnern des Wiederaufbaus der

Ulrichskirche

 

 

Gründe der Befürworter des Wiederaufbaus der Ulrichskirche – original entnommen von den Internetseiten des Kuratoriums

Argumente der Gegner des NEUBAUs

Ein Stück Wiedergutmachung für die Zerstörung von acht Magdeburger Kirchen durch zwei totalitäre Regime

 

Der Frevel aus Piecks/Ulbrichts Zeiten lässt sich ebenso nicht durch einen weiteren gewaltigen Eingriff in das Stadtbild wiedergutmachen, wie es ein Unrecht durch ein anderes Unrecht nicht vermag (Wiederaufbau der Kirche über die Köpfe der Magdeburger hinweg).

Für das Gedenken reichen, unserer Meinung nach, die Modelle der Magdeburger Gesellschaft.

Martin Luther besuchte als Schüler Gottesdienste in der Ulrichskirche

 

Ulrichskirchenpfarrer von Amsdorf gründete die erste protestantische Stadtschule Europas

 

Tauf-, Gemeinde- und Heiratskirche Ottos von Guericke, des größten Sohnes der Stadt Magdeburg

Diese wiedererrichtete Kirche wird keinerlei ideellen Wert haben, denn sie wird ein NEUBAU sein, ein Abbild, eine Kopie, in der Luther nie war, Guericke nie getauft wurde oder geheiratet hat und es werden auch nicht jene Gemäuer sein, in denen Amsdorf einst wandelte u.s.w. – Will man den späteren Besuchern der Kirche erzählen, dass darin Luther gebetet hätte oder Guericke getauft worden sei? – dies wäre eine Lüge!!!

Schlüsselbauwerk der Weltgeschichte 

 

bzw.

 

Ulrichskirche war ein welthistorisches Gebäude

 

(Verbreitung des Protestantismus, Magdeburger Centurien)

1.) Hier stellt sich die Frage: Kann ein Gebäude überhaupt eine welthistorische Rolle innehaben? Personen (Columbus, Marx, Hitler, Edison, Gorbatschow, Bill Gates) – Ja / Ereignisse (die Weltkriege, die Spanische Grippe 1918-20, Erfindung des Rades, der Dampfmaschine, des Computers, die Atombombenabwürfe) – Ja / Gebäude – Nein! Selbst das Weiße Haus in Washington D. C. nicht – dort wurden zwar von Personen der Weltgeschichte historische Entscheidungen getroffen, nicht aber von dem Gebäude. Gäbe es das W. H. nicht, hätte man diese Entscheidungen anderswo getroffen. Anders bei den Personen und Ereignissen …

2.) s. o.: In dem angestrebten Neubau wurden die Centurien nicht verfasst …

Otto von Guericke holte den bedeutendsten Orgelbaumeister der Barockzeit Arp Schnitger aus Hamburg

 

Barocke Schnitgerorgel ist - wie auch 1999 in Göteborg/Schweden geschehen - 1:1 rekonstruierbar

 

Telemannstadt Magdeburg kann mit rekonstruierter Schnitger-Orgel zum internationalen Orgel-Mekka werden

Eine Kirche soll wegen einer Orgel wiedererrichtet werden?

Magdeburg ein „Orgel-Mekka“  …???

 

Nach Mekka pilgern Millionen, aber nach Magdeburg – wegen Orgelmusik …???

 

Wir haben auch noch nichts davon gehört, dass Göteborg zum „Orgel-Mekka“ geworden wäre – alles rein hypothetisch und hochgradig spekulativ.

Realisierung der Vision des berühmten Gartenbaumeisters Peter Joseph Lenné von einer Ulrichskirche im Grünen

 

Ulrichplatz bleibt auch nach der Rekonstruktion der Kirche ein großzügiger, grüner Stadtplatz

Will sagen: Man beseitigt erst das schön gestaltete Grün mit all seinen Bäumen und errichtet dann eine Kirche darauf. Das Grün, das dann noch bleibt, soll dann der „großzügige, grüne Stadtplatz“ sein, von dem Lenné geträumt hat (???) – mit Verlaub: Das wagen wir zu bezweifeln.

Die Aufenthaltsqualität auf dem riesigen, zugigen Ulrichplatz würde sich verbessern.

Dieses Argument (u. v. a. m.) zeigt, wie händeringend die Kirchenbefürworter nach Argumenten suchen, um den Neubau zu rechtfertigen. Wenn wir dieses Argument richtig verstehen, zieht es nicht mehr am ALEX, wenn die Kirche steht.

Zweitälteste Pfarrkirche Magdeburgs nach der Johanniskirche

Die älteste Pfarrkirche (die Johanniskirche) wurde bereits wiederhergestellt. Warum also dann die zweitälteste wieder aufbauen?

Von vielen Zeitzeugen als schönste Pfarrkirche Magdeburgs bezeichnet

Wir sind sicher, dass sich auch Zeitzeugen finden, die eine andere Kirche als „die schönste Pfarrkirche“ erachteten.

Schaffung eines überregionalen Tourismusmagneten, der Touristen weltweit anlockt und Geld einbringt

Das ist einmal mehr hochgradig hypothetisch und reine Spekulation! Alle nach ca. 1950 Geborenen kennen diese Kirche überhaupt nicht. Ganz davon zu schweigen, wie es im Ausland aussehen würde. Ein Vergleich mit der Dresdner Frauenkirche ist hier übrigens völlig verfehlt. Diese war ein international bekanntes Objekt, ein Symbol, im Gegensatz zur Ulrichskirche. (Es gibt übrigens Ulrichskirchen lt. Wikipedia 30 Stück!)

Chance auf Etablierung einer modernen City-Kirche als ein Haus für uns alle

Stehen nicht alle Kirchen jedem offen?

Was man unter dem Prädikat „moderne City-Kirche“ versteht und vor allem, welche spektakulären Neuheiten sich damit verbinden sollen, erschließt sich uns selbst nach dem Lesen aller Internet- und Flyer-Seiten bisher nicht.

Veranstaltungen? Dafür gibt es bereits andere Einrichtungen, die von der Stadt finanziert werden. Museum? Haben wir schon – ebenfalls von der Stadt finanziert. Was wird aus diesen Einrichtungen, wenn die Ulrichskirche alles abdeckt?

Wir wollen hier nur am Rande erwähnen, dass eine Kirche für den Glauben steht und eine Gemeinde beherbergen sollte. 2008 traten in Deutschland fast 300.000 Kirchenmitglieder aus (nach den Missbrauchsfällen 2010 werden es mit Sicherheit nicht weniger geworden sein). Gemeinden werden geschlossen oder zusammengelegt. Hat die neue Ulrichskirche eine Gemeinde: Welche anderen Gemeinden müssen dann schließen oder zusammengelegt werden? Hat sie keine: Was macht dann die Kirche für einen Sinn?

Komplettierung der berühmten Magdeburger Kernaltstadtsilhouette mit ihren typischen Doppeltürmen

 

Schaffung eines einzigartigen Ensembles aus gotischer, neoklassizistischer und moderner Architektur

 

Städtebaulicher Gewinn für das innerstädtische Leben, für das Stadtgepräge und für die Stadtstruktur

Die Frage ist: Wollen die Bürger Magdeburgs diese „Komplettierung“ – finden sie das sinnvoll und/oder attraktiv?

 

Auch unter den Architekten ist der Wiederaufbau umstritten. Wir finden: Auch eine gepflegte Grünanlage/Parkanlage ist ein städtebaulicher Gewinn.

 

Aber auch hier mag wohl die Wahrheit im Auge des Betrachters liegen und darüber sollten dann in einem Volksentscheid die Magdeburger selbst befinden.

Dass man sich noch heute in der Rekonstruktionsdebatte auf Georg Dehios Satz «konservieren, nicht restaurieren» aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts beruft, zeigt einen eigentümlichen Mangel an geschichtlicher Reflexion an.

Es gibt Architekten in Magdeburg, die diesen Wiederaufbau als sinnlos ansehen, weil diese Kirche von ihrer Architektur her nicht mehr an diese Stelle passt. Weil sie anderer Meinung sind als die Ulrichskirchen-Befürworter, wirft man ihnen „einen eigentümlichen Mangel an geschichtlicher Reflexion“ vor – mehr von oben herab geht es nicht!

Kirche kann auf alten Fundamenten rekonstruiert werden, städtebauliche Voraussetzungen sind hervorragend

Woher weiß man dies so genau? Die Reste des Fundamentes sind seit über 50 Jahren in der Erde?

Ein weiteres Argument des Kuratoriums ist:

Die Kirche wird allein aus Spendengeldern finanziert werden. (Es kostet die Stadt nichts.)

 

Die geschätzte Bausumme von 25-30 Millionen Euro erscheint im Vergleich mit anderen Projekten (z.B. ca. 180 Millionen Euro für die Dresdner Frauenkirche, 552 Millionen für das Berliner Stadtschloss) geradezu niedrig.

Genau diese Tatsache, dass die Kirche „nur“ 25-30 Millionen Euro kosten soll, macht uns stutzig:

Was ist, wenn – wie bei nahezu allen großen Bauvorhaben (Stadion des FCM, Bördelandhalle, Stuttgarter Hauptbahnhof, Dresdner Frauenkirche …) und deshalb in diesem Falle sehr wahrscheinlich zu erwarten – das Geld nicht ausreicht? Wer übernimmt die fehlenden 10, 20 oder 30 Millionen Euro?

Wer kommt (auch in den nächsten Jahrzehnten) für die Betriebskosten auf? Eintrittsgelder – Urnenbestattungen – spekulative Investitionen in Windenergie – eine Stiftung … ???

Das wird bei weitem nach einigen Jahren nicht ausreichen – der Erhalt einer Kirche ist sehr teuer.

 

Bleibt am Ende also doch wieder nur der Steuerzahler Magdeburgs, der zur Kasse gebeten wird.

 

Ganz davon abgesehen, wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass übrigens auch Spenden steuerlich abgesetzt und somit ebenfalls schon eine Belastung für die Stadt / den Staat darstellen.

Die Ulrichskirche an der heutigen Ernst-Reuter-Allee überstand den Zweiten Weltkrieg mit nur geringer Beschädigung. Der Beschädigungsgrad der Türme wurde mit nur 3% angegeben. Mit geringem Aufwand hätte sie wiederhergestellt werden können.

Das die Sprengung der Kirche Unrecht war, steht außer Frage. Um jedoch das Unrecht noch größer darzustellen, damit auch dieser Aspekt als Wiederaufbaugrund herhalten kann, wird an dieser Stelle doch – milde gesagt – stark untertrieben. Fotos zeigen und Berichte belegen ganz deutlich, dass die Ulrichskirche stark in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die Westfassade mit den charakteristischen Doppeltürmen war zwar komplett erhalten geblieben, von dem dreischiffigen Kirchenschiff standen jedoch nur noch die Außenwände und die gotischen Pfeiler. Teile des Daches und das Gewölbe waren eingestürzt.

 

 PositionenP

Rekonstruktion als Verstoß gegen die Grundprinzipien des Denkmalschutzes

In Heft 143 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume, link: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/ministerien/bmvbs/forschungen/2010/Heft143_DL.pdf?__blob=publicationFile&v=1
f
indet sich eine breite Diskussion zum für und wider der Rekonstruktion verlorener Bauten. Die frühere totale Ablehnung, wie sie aus der Denkmalpflege gegeben ist, vgl. 3.22 "Der Authentizitätsbegriff als zentrale Kategorie der Denkmalpflege und seine Wirkungen", wird aufgegeben. Rekonstruktion kann einen Typ identitätsstiftender moderner Architektur darstellen. Der Bürgerentscheid mit dem die überwältigende Mehrheit der Magdeburger nach ausgiebiger und intensiver Diskussion den Wiederaufbau ablehnten, kann als Beleg dafür gewertet werden, dass der Ulrichskirche diese identitätsstiftende Bedeutung nicht zu kommt. Die Lage ist eben anders als in Dresden, Leipzig, Potsdam oder Frankfurt. Der Kirchentyp ist ähnlich dem der Johanniskirche. Nicht die Ulrichskirche, sondern Magdeburg war die Bastion des Protestantismus gegen die Rekatholisierung. Anders als die Frauenkirche in Dresden ist die Ulrichskirche nach ihrer Zerstörung aus dem Gedächtnis der Magdeburger im wesentlichen verschwunden. Es wurden anders als in Dresden nicht die Steine mit dem Ziel des Wiederaufbaus aufbewahrt. Der offene Platz, eine grüne Oase inmitten der Stadt umgeben von den stolzen Bauten aus der Aufbruchszeit nach dem Krieg ist die Gegenwart. Seine identitätsstiftende Wirkung sollten auch die Rekonstruktionsfreunde endlich verstehen und anerkennen.

Josef Fassl 07.05.2021

 

 

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