Positionen
2. Erinnerungskultur und Denkmalpflege
Vortrag von Dr. Peter Fassl am 01.07.2009 an der Hochschule Augsburg
und am 22.07.2009 an der Universität Augsburg
Zusammenfassung
1.
Ein Denkmal ist nach dem europäischen Verständnis, dem ein linearer Zeitbegriff zu Grunde liegt, ein von
Menschen geschaffenes Objekt aus vergangener Zeit, dessen Erhaltung im Interesse der Allgemeinheit
liegt. Kennzeichen eines Denkmals ist seine materielle Authentizität, die sich in den ablesbaren
geschichtlichen Spuren und Schichten zeigt, und in Weiterentwicklung von Alois Riegl als Alterswert
bezeichnet wurde. Die Geschichts- und Zeitspuren des Denkmals machen dieses einmalig. Sie sind konkret
wahrnehmbar. Man kann ein Denkmal erhalten, reparieren, instand setzen, ergänzen, aufgeben, abbrechen,
aber nicht neu schaffen. Die zunehmende Verwendung von Denkmalresten als Spolien lässt sich danach
bewerten, ob der Spolie ein eigenständiger Wert zukommt oder ob sie nur dekorativen Zwecken dient.
Die Denkmale bilden Zeugnisse einer vergangenen Zeit und besitzen gleich Werken der bildenden Kunst und
Archivalien Quellenwert.
Es gibt in Japan ein anderes Verständnis von Denkmalpflege, belegt in dem alle 20 Jahre durchgeführten
Bau des Shintoschreines von Ise, bei dem die exakte technische, handwerkliche und materielle Wiederholung
kennzeichnend ist und in Afrika, etwa bei den Lehmbauten in Jemen, bei denen die fortlaufende handwerkliche
Reparatur und Erneuerung den Erhalt gewährleistet. In der Konvention von Nara (1994) wird auf die
unterschiedlichen Wurzeln des kulturellen Erbes verwiesen, die zu respektieren und nicht gegeneinander
auszuspielen seien. Unabhängig davon wird bei dem Schutz und der Erläuterung der prähistorischen
Pfahlbauten im Alpenbogen oder bei anderen archäologischen Denkmalen aus Gründen einer anschaulichen
Vermittlung mit Nachbauten gearbeitet, ohne dass diese Denkmalqualität besitzen.
2.
Die Aufgabe der Denkmalpflege ist die Erhaltung der Denkmale. Stilreinheit ist kein Restaurierungsziel, die
Eingriffe in die überkommene Bausubstanz sind zu minimieren; der Gebrauch- und Funktionswert wird unter
Vorrang des Alterswertes weiter geschrieben. Die Interpretation, Erläuterung und Beschreibung eines
Denkmals bilden Aufgaben, die ein inter- und multidisziplinäres, kultur-, sozial-, wirtschafts-, bau- und
technikgeschichtliches und naturwissenschaftliches Wissen benötigen. Die Bedeutung der Denkmale wird in
den historischen Fächern unterschätzt.
Die Erhaltung der Denkmale benötigt ein bauhistorisches und bauphysikalisches Wissen und handwerkliche
Erfahrung in der Umsetzung.
3.
Die Denkmalpflege ist Bestandteil der Erinnerungskultur. Sie erhält und gestaltet neu, bewahrt und pflegt
theoretisches und praktisches Wissen.
4.
Denkmale sind ein Teil der Erinnerungskultur. Sie bilden Zeugnisse vergangener und erinnerter Zeiten,
können Quellen der Erinnerung darstellen und bilden eine kritische Instanz, an der sich die Erinnerung
korrigieren und schärfen kann. Die Restaurierung der Bauhausmeisterhäuser in Weimar hat das falsche
Bild von den weißnüchternen Kuben verändert. Die Ambivalenz von Modernität, Rationalität, Triumpfalismus
und volkstümlichen Elementen in der Entfaltung des Nationalsozialismus lässt sich ohne authentische
Bauzeugnisse nicht vermitteln.
5.
Die Erinnerungskultur bewahrt und konstruiert Erinnerung und schafft Vergessen durch Zerstörung von
ungeliebten Denkmälern. Die damnatio memoriae (Vernichtung von Erinnerungszeugnissen) ist eine
kulturgeschichtlich gut belegte Strategie zur Bewältigung der jeweiligen Gegenwart, die sich baulich
heute in Dresden und Berlin, jüngst in vernichtender Weise in Jugoslawien (Dubrovnik, Sarajevo, Mostar)
und Afghanistan (2001, Buddha-Statuen von Bamiyan) beobachten ließ. Der Abbruch des DDR-
Außenministeriums (1995), des Palastes der Republik, des Ahornblatts (2000) und des Leninmonuments
(1991/92) sowie die rekonstruktionsartigen Neubauten und Planungen der Bauakademie, der neuen
Kommandantur und des Stadtschlosses belegen dies unzweifelhaft. Natürlich wird die DDR-Geschichte
mit diesen Abbrüchen nicht vergessen und die Hohenzollernmonarchie in Kraft gesetzt, aber eine rein
ästhetische Begründung, wie dies im Bundestag versucht wurde, greift zu kurz. Die räumliche
Orientierung bestimmt das kollektive Gedächtnis mit und wie eine Kollage von Fassaden, moderner
Strukturen und Leerstellen wegen der Zerstörung durch den 2. Weltkrieg und der fehlenden DDR in der Mitte
Berlins wirkt, wird sich zeigen. Glaubwürdigkeit und historische Orientierung kann ein so gestalteter
öffentlicher Raum nicht mehr geben. Der gescheiterte Wettbewerb um das Einheitsdenkmal vom April 2009
bestätigt mE diese Feststellung. Wo alles möglich ist, bleiben nur der Spaß und die Ironie als Optionen.
6.
Die Erinnerungskultur dient, wenn auch nicht ausschließlich, den Bedürfnissen der Gegenwart. Sie tut sich
schwer mit ungeliebten, sperrigen Denkmal-Zeitzeugen, die sie sich, wie das Beispiel verschiedener
Synagogenrestaurierungen zeigt, abgemildert aneignet. Die Wohlfühlarchitektur der historisierenden
Fassaden bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Optimierung macht Architektur zur marktgerecht verpackten
Ware und Geschichte zu einem Phantom. Erinnerungskultur muss die Originale dann zumindest in den
Büchern bewahren.
7.
Denkmalpflege und Erinnerungskultur verbindet die Frage nach der Wahrhaftigkeit, die den notwendigen
oder zumindest behaupteten Kern beider bildet. Ohne historische Substanz gilt es kein historisches
Gebäude. Wie das Beispiel der „Deutschen Erinnerungsorte“ von Etienne Francois und Hagen Schulze
zeigt, ist dies bei der Erinnerungskultur eher eine perspektivische und hermeneutische Annäherung.
Eigenartig aber auf jeden Fall ist, dass bei der Darstellung der konkreten Erinnerungsorte eine
Beschreibung der Orte nahezu völlig fehlt. Auch die Beschreibung geistiger Landkarten und die
Großerzählungen der heutigen Geschichtsschreibung werden auf die realen Orte nicht verzichten können.
8.
Teile der Denkmalpflege sehen die Rekonstruktion als legitimen Aufgabenbereich und haben sich damit
der Konstruktion von neuen Bildern geöffnet. Damit delegetimieren sie die Denkmalpflege als erhaltende
Tätigkeit – wieso soll ich Beschädigtes erhalten, wenn ich es besser wieder herstellen kann? Wieso soll
ich historische Schichten erhalten, wenn es auf das Erscheinungsbild ankommt? Derartige Denkmalpflege
wertet aber auch die Denkmale ab, da deren Einmaligkeit und Alterswert in Frage gestellt werden und
bildet damit, wie die Erfahrung des 19. und 20. Jahrhunderts zeigte, einen vandalisme restaurateur. Die
Reproduzierbarkeit von Kunstwerken, hier Bauwerken, lässt die Frage nach dem Original nicht verstummen.
In der entsprechenden biowissenschaftlichen Diskussion wurde von Habermas auf die gefährdete Würde
des Menschen hingewiesen. Derartige Denkmalpflege engt aber auch den Entfaltungsraum moderner
Architektur ein, da sie die Bedeutung der Zeitgenossenschaft abwertet. Wie Tilman Breuer bereits 1983 in
Passau ausführte, bedarf eine Rekonstruktion des denkmalpflegerischen Wissens und Könnens, ist aber
keine Aufgabe der institutionalisierten Denkmalpflege.
9.
Denkmale bilden ein Moment der Verlangsamung in einer beschleunigten Zeit. Die ubiquitäre
Informations- und Bilderflut durch die heutige Informationstechnologie hat zu einem beschleunigten
Blick und einer selektierenden Wahrnehmung geführt. In den Kunst- und Kommunikationswissenschaften
hat man festgestellt, dass die Historien- und Genregemälde des 16. bis 18. Jahrhunderts zur Bilderfassung
einen weit längeren Zeitrum verlangten als man heute üblicherweise für eine Bildwahrnehmung aufwendet.
Ein Denkmal in seiner Vielschichtigkeit und Mehrwertigkeit real, nicht virtuell zu erfassen, heißt, sich Zeit
zu nehmen, sich auf die Fremdheit vergangener Zeit einzulassen und deren materielle und in der Regel
handwerkliche Erscheinungsformen wahrzunehmen. Der unterschiedliche Zeittakt der Entstehung eines
Denkmals vermittelt ein anderes Zeiterleben. Es wird zu beobachten sein, inwieweit die Realität der
virtuellen Welt die sinnlichen Wahrnehmungen grundlegend verändert.
10.
Der von Hermann Lübke kulturgeschichtlich analysierte Museumsboom – „durch die progressive
Musealisierung kompensieren wir die belastenden Erfahrungen eines änderungstempobedingten
kulturellen Vertrautheitsschwundes“ – lässt sich auf die Denkmalwahrnehmung übertragen. Der Vergleich
der Resonanz des Tages der Architektur und des Tages des Denkmals bestätigt dies. Die Schwierigkeit liegt
in der „verlangten“ Qualität des Denkmals, der sog. „Schönheit“, die nach Hoffmann-Axthelm, der den
Zeitgeist damit wohl trifft, die einzige Qualität überhaupt darstellt. Mit dem für das Denkmal konstitutiven
Alterswert tut sich unsere Gesellschaft schwer, die in Neuheit und Jugendlichkeit und der prinzipiellen
Machbarkeit aller Dinge „grundlegende Werte“ und Orientierungen besitzt. Und doch ist die Anerkennung des
Alterswertes, den wir in italienischen Städten leichter akzeptieren als in unseren herausgeputzten und
rundumerneuerten Altstädten, eine zutiefst humane Komponente unseres Lebens angesichts der Zeit- und
Alterslosigkeit der virtuellen Welt des weltweiten Netzes.
Dr. Peter Fassl
Bezirksheimatpfleger von Schwaben und
Lehrbeauftragter für Denkmalpflege
an der Hochschule Augsburg